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© Philippe Matsas/CNL

Ulrike Bail

Metzingen ()

Ulrike Bail studierte evangelische Theologie und Germanistik an der Universität Tübingen. 1997 promovierte sie in evangelischer Theologie an der Universität Bochum, wo sie sich 2003 auch habilitierte. 2003 war sie Privatdozentin für Altes Testament an der Universität Bochum, 2004 lehrte sie feministische Theologie und theologische Frauenforschung an der Humboldt Universität Berlin. Seit 2005 lebt sie in Luxemburg und arbeitet freiberuflich als Schriftstellerin.

Ulrike Bail hat zahlreiche Veröffentlichungen zu den Psalmen, zum Umgang mit Gewalt und Trauma im Alten Testament und zur literaturwissenschaftlichen und genderorientierten Bibelauslegung vorgelegt, z. B. zwei Monografien Gegen das Schweigen klagen. Eine intertextuelle Studie zu den Klagepsalmen Ps 6 und Ps 5 und der Erzählung von der Vergewaltigung Tamars (Gütersloh 1998) und ‘Die verzogene Sehnsucht hinkt an ihren Ort.’ Literarische Überlebensstrategien nach der Zerstörung Jerusalems im Alten Testament (Gütersloh 2004). Dafür erhielt sie 2004 den Henning-Schröer-Förderpreis für verständliche Theologie des Instituts für Hermeneutik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ulrike Bail ist darüber hinaus Mitherausgeberin der Bibel in gerechter Sprache.

In dem 2010 vom Cid-femmes herausgegebenen Band Not the girl you are looking for. Melusina rediscovered analysiert sie das literarische Schaffen luxemburgischer Schriftstellerinnen unter feministischem Blickwinkel: Von Sirenengesang, freien Samstagen und einem Schrei. Schriftstellerinnen Luxemburgs als intertextuelle Gefährtinnen Melusinas

Ulrike Bails literarische Vorliebe gilt der Lyrik. Sie ist Mitglied der Vereinigung Netzwerk Lyrik. e. V.  Gedichte von ihr erschienen in den Zeitschriften Exempla, Dulzinea, Kulturwelten, Wortschau und Les Cahiers luxembourgeois, sowie in den Anthologien Kühner Kosmos (2011), Jahrbuch der Lyrik (2015, 2017 und 2021), Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn. Gedichter aus Lëtzebuerg (2021) und Lignes de partage (2021).

In dem 2024 erschienenen Essay trosttiere. mes ormeaux stellt sie die Frage, nach dem Verhältnis von Poesie und Krieg und betont, dass gerade in Kriegszeit Lyrik eine Zuflucht bieten und zu Freiheitsräumen und Trosträumen mutieren kann. In ihrem Verzicht auf Satzzeichen sowie auf Groß- und Kleinschreibung sieht sie die Möglichkeit, ihren Texten eine verstörende und zum Nachdenken anregende Offenheit zu verleihen, die unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten und individuelle Lesarten nicht nur zulassen, sondern geradezu erzwingen.

Ulrike Bails erster Gedichtband wundklee streut aus (2011) enthält 47 Gedichte über Theodora, die sowohl einzeln als auch als fortlaufende Geschichte gelesen werden können. Scheinbar abgehoben und verklärt und mit einer ihr eigenen Sensibilität geht Theodora, deren Name Geschenk Gottes oder Gottesgabe bedeutet, durch die Welt und eignet sie sich an. Dieser Prozess birgt in sich schmerzhafte Erinnerungen und generiert Trauer und Melancholie, verweist auf der anderen Seite auf die Erfüllung in der Musik und im Schreiben. Mit dem Bild der Heilpflanze Wundklee wird Linderung und Heilung in Aussicht gestellt. Für das in diesem Band enthaltene Gedicht die töne haben eine haut erhielt Ulrike Bail bereits 2008 den Lyrikpreis der Gesellschaft für Osteuropaförderung in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für neue Literatur e.V. / Berlin. In dem 2016 erschienenen Gedichtzyklus sterbezettel (2016) verweisen kurze, auf das Wesentliche reduzierte Gedichte auf die Vergänglichkeit und Endlichkeit menschlichen Lebens, wobei die Bilder aus der Natur wie Stillleben angeordnet sind. die empfindlichkeit der libelle (2017) enthält Gedichte, die in fünf thematische Zyklen gruppiert sind und durch ihre Knappheit, die Unmittelbarkeit der Sinneseindrücke und Wortassoziationen hervorstechen. Der 5. Zyklus zählt fünf brunen fünf verweist auf das Schicksal der während des Zweiten Weltkrieges im Kloster Fünfbrunnen internierten Juden, die von dort aus in die Vernichtungslager des Ostens deportiert wurden. wie viele faden tief  (2020) rekurriert auf das Wortfeld "nähen". Darin lotet sie in einer bildhaften Sprache die semantische Tiefenstruktur der Bezeichnung unterschiedlicher Stiche ( z.B. Kreuzstich, Wabenstich, Muschelkantenstich), verschiedener Nähutensilien ( z.B. Kurzwaren, Nähkästchen, Fingerhut) oder Nähtechniken ( z.B. Säumen, Auftrennen, Versäubern) aus, um sie als Metapher auf menschlicher Lebensentwürfe und zwischenmenschliche Beziehungen zu übertragen. Ein Besuch in Oradour-sur-Glane, wo in Gärten und Höfen zerstörter Gebäude liegengebliebene Nähmaschinen an das Massaker vom 10. Juni 1944 erinnern, bei dem 642 Menschen durch die Nazis ermordet wurden, hatte sie zu diesem Projekt angeregt. Parallel zu den Gedichten erstellte Ulrike Bail eine Reihe von Collagen, die Bezug auf die Gedichte nehmend, als Anhang mitgeliefert werden.

In statt einer ankunft (2021) wird die Stadt Luxemburg auf zwei virtuellen Routen Binnchen – Parc de l’Europe und Aéroport -Val fleuri mit Bus- und Tramlinien erkundet. Die Namen der einzelnen Stationen verweisen einerseits auf namensgebende Gebäude oder den historischen Kontext, lassen andererseits menschliche Ängste und Enttäuschungen, Hoffnungen und den Wunsch nach Ziel aufscheinen. Aufgehobene Haltestellen werden zu Orten der Trauer.

Die Texte von im halblichten geäst deines atems (2023) leben von der Betrachtung, Beobachtung und Befragung der Natur. Semantische Hinterfragungen von Pflanzennamen, farbliche Gestaltung fluider Identitäten oder assoziative Bilder von Stille, Bewegung und Vergänglichkeit verweisen auf Momenten einträchtiger Verbundenheit aber auch auf gestörte Beziehungen des Menschen zur Natur. Jedes Gedicht wird doppelt präsentiert: einmal in der reinen Textform (rechts), einmal in Bildkästen (links), die Ulrike Bail Gedichte „Rahmen“ nennt. Darin erscheinen zusätzlich zum Text Collagen zumeist mit Naturmaterialien wie Kiefernadeln, Blätter, Baumrinden oder Sägemehlspänen, gelegentlich auch mit Lexikonauszügen oder Noten, die zu einer multisensoriellen Entdeckung des Waldes einladen. Mehrere der „Rahmen“ waren in der Gemeinschaftsausstellung von Ulrike Bail, Vic Fischbach und Marie-Pierre Trauden-Thill du lauschst dem lärmen der bäume von April bis Juni 2023 im Konschthaus in Schifflingen ausgestellt.

Einige Texte von Ulrike Bail sind vertont worden, so z. B. die töne haben eine haut von Ildar Kharissov für Klavier und zwei Sprecher (2009) sowie einzelne Gedichte aus wundklee streut aus als Theodora-Zyklus von Susanna Baltensperger (2012-2019). Auch in die Werke nach der mitte folgt ein schweigen. eine elegie (innehalten am Rand) von Antoine Beuger (2012) und A tenuous we von Daniel Brandes (2013) gingen Texte von Ulrike Bail und Judith Butler ein. Einige Texte von Ulrike Bail wurden ins Französische, Englische, russische und Arabische übersetzt.

Ulrike Bail wurde mehrfach beim Concours littéraire national ausgezeichnet: 2011 für sterbezettel (2. Preis), 2015 für die empfindlichkeit der libelle (2. Preis) und 2020 für den Gedichtzyklus statt einer ankunft (1. Preis). In Deutschland wurde sie 2020 zur Autorin des Jahres der Autorinnenvereinigung e.V. gewählt. 2021 wurde die mit dem Prix Servais für den Lyrikband wie viele faden tief ausgezeichnet.

Ulrike Bail ist Gründungsmitglied des 2020 gegründeten Schriftstellerverbandes A:LL Schrëftsteller*innen. Seit 2024 ist sie Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und des Institut grand-ducal. Section des arts et des lettres.

Dieser Artikel wurde verfasst von Germaine Goetzinger

Veröffentlichungen

Mitarbeit bei Zeitungen

  • Titel der Zeitschriften
    Cahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des arts
    Verwendete Namen
    Ulrike Bail

Sekundärliteratur

Auszeichnungen

Mitgliedschaft

  • A:LL Schrëftsteller*innen
Zitiernachweis:
Goetzinger, Germaine: Ulrike Bail. Unter: , aktualisiert am 02.08.2024, zuletzt eingesehen am .