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© Philippe Matsas/CNL

Pierre Joris

Peter Joris
Straßburg ()

Pseudonyme: Joseph W. Charles

Pierre Joris besuchte die Primärschule in Luxemburg und Ettelbrück, das Gymnasium in Diekirch, wo er u.a. von Othon Scholer unterrichtet wurde, und die Cours supérieurs in Luxemburg. Er studierte ein Jahr Medizin an der Pariser Universität, wechselte dann das Fach, studierte bis 1969 Englische Literatur am Bard College in New York und schloss 1975 ein Übersetzerstudium an der University of Essex (UK) ab. Von 1976 bis 1979 lehrte er an der Université de Constantine in Algerien, danach an verschiedenen amerikanischen Universitäten. 1990 promovierte er in Vergleichender Literaturwissenschaft an der State University of New York in Binghamton, NY. Von 1992 bis 2013 war Pierre Joris Professor für Englische Literatur an der State University of New York in Albany, NY. Seine Forschungsschwerpunkte sind zeitgenössische englischsprachige Poesie, Poetik und Literaturübersetzung.

Pierre Joris entwickelte in zahlreichen literaturwissenschaftlichen Abhandlungen eine Literaturtheorie der zeitgenössischen Poesie. Seine Artikel und Rezensionen erschienen u.a. in den englischsprachigen Zeitschriften The New Statesman, Translation Review, American Book Review, The Literary Review und in Livres-Bücher. Das 2009 erschienene Justifying the Margins versammelt literaturwissenschaftliche Essays in einem Band. Unter dem Pseudonym Joseph W. Charles zeichnete Pierre Joris 1974 zusammen mit Victoria Hyatt für den Band The Book of Demons verantwortlich, der auch ins Italienische übersetzt wurde. In Nomad Poetics (2003) untersucht er interkulturelle Zusammenhänge und die Art, wie sich Einflüsse der globalisierten Welt in den Werken der untersuchten Autoren spiegeln. Der Band wurde 2006 von Jean Portante und Habib Tengour ins Französische übersetzt. Die Essaysammlung Arabia (not so) Deserta (2019) vereint Aufsätze und Reden zu inhaltlichen, poetologischen, ästhetischen und kulturpolitischen Aspekten arabischer Poesie, die von ausgewählten Gedichten arabischer Lyrikerinnen punktiert werden. Im Sammelband Fox-trails, -tales & trots (2020) reflektiert Joris, ausgehend vom Bild seines Totemtieres, des Fuchses, in dem sich Michel Rodanges Renert spiegelt, in essayistischen und poetischen Texten sein Verhältnis zu Luxemburg und der luxemburgischen Sprache. Pierre Joris beschäftigt sich ebenfalls mit weltpolitischen Themen, etwa im Essayband Global Interference (1981). Anfang der 1980er Jahre war er Herausgeber der englischen, politisch-kulturellen Wochenzeitschrift Al-Zahaf Al-Akhdar, die die Auswirkungen der Globalisierung in der Dritten Welt und Ereignisse in der westlichen und arabischen Welt kritisch analysiert.

Pierre Joris hält Vorträge zur Literatur in den Vereinigten Staaten und Europa. Er organisiert Dichterlesungen und musikalisch-literarische Events, öfters in Zusammenarbeit mit seiner Frau, der französischen Künstlerin Nicole Peyrafitte. In den 1980er Jahren lieferte er literarische und kulturelle Beiträge für den Radiosender France Culture. 1987 organisierte er mit Jean Portante ein internationales Poesiefestival in Luxemburg. Als Literaturwissenschaftler befasst er sich auch mit der Entstehung seines eigenen Werks, wie im Artikel Why or how I write in der luxemburgischen Zeitschrift transkrit (Mai 2017).

2019 erschien ein Gespräch, das Pierre Joris im Juni 2017 im Rahmen des Festivals Les Porteurs de Mots mit dem syrisch-libanesischen Lyriker Adonis führte und in dem poetologische und kulturphilosophische Themen zur Sprache kommen, unter dem Titel Adonis & Pierre Joris. Conversations in the Pyrénées in einer englisch-französischen Ausgabe. Joris wählte diese Form des Dialogs auch für den Band Always the Many, Never the One (2022), in dem er in mehreren Gesprächen mit dem Lyriker und Journalisten Florent Toniello poetische, theoretische und persönliche Fragen reflektiert. Der Band enthält darüber hinaus die Rede, die Pierre Joris anlässlich der Verleihung des Batty Weber-Preises hielt, und die 2021 in der Reihe Rede zur Literatur des CNL erschien.

Pierre Joris ist Mitherausgeber von vier Anthologien zeitgenössischer Poesie: Matières d'Angleterre mit Paul Buck (1984), Poésie internationale mit Jean Portante (1987) und Poems for the Millennium I und II (1995, 1998) mit dem US-amerikanischen Literaturwissenschaftler Jerome Rothenberg. Sie bieten, ebenso wie die Reihe Sixpack, die Pierre Joris zwischen 1985 und 1995 herausgab, wenig bekannten, experimentellen Künstlern ein Publikationsforum. Sixpack war auch der Name einer Literaturzeitschrift, die Pierre Joris in den 1970er Jahren herausgab. Zusammen mit Jerome Rothenberg ist er ebenfalls Herausgeber der Reihe Poets for the Millennium, in der Bände über André Breton, Nicole Brossard, Paul Celan, Aimé Césaire, Ian Hamilton Finlay, Miyazawa Kenji, José Lezama Lima, Maria Sabina und Gertrude Stein erschienen. Als Herausgeber zeichnet er zudem, zusammen mit Peter Cockelbergh, für die beiden Bände A Voice Full of Cities (2014) und A City Full of Voices (2020) verantwortlich, die dem Werk des US-amerikanischen Lyrikers Robert Kelly gewidmet sind. Während der erste Band Kellys gesammelte Essayistik enthält, verbindet der zweite Band ausgewählte Texte Robert Kellys mit literaturwissenschaftlichen Essays, Kritiken und lyrischen Reaktionen zu seinem Werk.

Pierre Joris ist Lyriker. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände u. a. Out/Takes, Poasis und The Rothenberg Variations und Aljibar, in denen er mit den Klängen und Nuancen der englischen Sprache spielt. Sein Werk, welches sich der Ethnopoetry zugehörig fühlt, dekonstruiert traditionelle poetische Normen und thematisiert Eindrücke aus der amerikanischen Alltagskultur ebenso wie Einflüsse einer klassischen europäischen Bildung und des arabischen Kulturkreises. Pierre Joris ist Korrespondent der französischen Literaturzeitschriften Po&sie, Dédale und Arapoetica. Seine Gedichte erschienen ebenfalls in luxemburgischen und englischsprachigen Anthologien wie Poésie internationale (1987), Assemblage (1989), Anthologie luxembourgeoise (1999), Parus de vue (2016), graphiti 100 (2016) und Fresh from the Fountain (2018). Der Band Barzakh von 2014 ist eine Sammlung Gedichte, die zum Teil bereits vorher in kleineren Literaturzeitschriften oder Monographien, u.a. in The Rothenberg Variations, publiziert wurden. Einige Werke wurden von Camille Kerger vertont. Nico Helminger übersetzte unter dem Titel Fin de siècle - Phantombild Auszüge aus Breccia und Poasis ins Deutsche. Die Gedichtbände h.j.r., Le livre de Luap Nalec, Aljibar und Aljibar II wurden ins Französische übertragen. La dernière traversée de la Manche ist eine französische Übersetzung ausgewählter Texte. Gedichte von Pierre Joris, u.a. aus Aljibar, The Rothenberg Variations, Poasis und Breccia, wurden ins Spanische übersetzt und erschienen 2014 als Sammelband unter dem Titel Mawqif in Mexiko. Der Titel bezieht sich auf den arabischen Begriff für eine Station, einen Reisestopp. Dieses Konzept greift der Autor auch in Meditations on the Stations of Mansur Al-Hallaj auf. Joris verfasste diese Gedichte, angeregt durch den Einfall der USA in den Irak, in den 2000er Jahren und gliederte sie in Unterkapiteln, die er nach Konzepten des persischen Philosophen benannte. Eine zweisprachige Version mit französischsprachigen Übersetzungen des algerischen Lyrikers Habib Tengour erschien 2018 in Algerien. Einzelne Gedichte wurden auch ins Arabische, Rumänische (in: Scrie-acum scrie, 2015) und Chinesische übertragen. 2017 legte Pierre Joris The Book of U vor, eine Gedichtsammlung, inspiriert von den Kormoranen, die er auf seinen Wanderungen im Staat New York beobachten konnte. Im gleichen Jahr erschien die Sammlung Canto diurno mit 17 bereits vorher veröffentlichten Gedichten, von Jean Portante ins Französische übersetzt. Eine erweiterte Fassung von The Book of U erschien 2023 im Band Interglacial Narrows, das zudem Gedichte aus den Jahren 2015 bis 2021 (Lœss & Found), einen Zyklus zu Paul Celan (Homage to Celan) und eine während der Covid-Pandemie entstandene poetische Tagebuchsequenz (Up to & Including the Virus) versammelt.

2015 hatte Pierre Joris die Autorenresidenz des Théâtre national du Luxembourg inne. Sein bei dieser Gelegenheit verfasstes Stück The Agony of I. B. [= Ingeborg Bachmann] wurde 2016 vom TNL uraufgeführt.

Pierre Joris ist auch Literaturübersetzer. In den 1970er Jahren übersetzte er zahlreiche Werke der englischsprachigen Beat-Generation (Kerouac, Solomon, Corso) ins Französische. Seit den 1980er Jahren übersetzt er hauptsächlich ins Englische, u. a. Werke von Habib Tengour. Schwerpunkt seiner Übersetzungstätigkeit sind die Schriften Paul Celans, die er in ihrer Integralität übersetzt hat, ein Projekt, das er mit Memory Rose into Threshold Speech; The Collected Earlier Poetry und Microliths, einem Band posthumer Prosa, im Jahr 2020 abschloss. Seine Übersetzungen erschienen als eigenständige Publikationen sowie in Literaturzeitschriften wie SULFUR, Paris Exiles, The Literary Review und In'hui.

1994 erhielt Pierre Joris den P.E.N. Center USA West Award for Translation, 1996 den P.E.N. Oakland Josephine Miles Award for Excellence in Literature (jeweils zusammen mit Jerome Rothenberg) und 2005 den P.E.N. Award for Poetry in Translation für seine Übersetzung von Paul Celans Lichtzwang/Lightduress. 2015 wurde er für seine Übersetzung von Paul Celans Breathturn into Timestead von der American Literary Translators Association (ALTA) mit dem National Translation Award in Poetry ausgezeichnet. 2020 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Prix Batty Weber ausgezeichnet.

Von 1992 bis 1994 war Pierre Joris Vorstandsmitglied der Hudson Valley Writers' Guild in Albany, NY. Er war Mitglied des LSV bis zu dessen Auflösung im Jahre 2016, ist Mitglied seit 1987 der Modern Language Association, seit 1993 des P.E.N. Club New York und seit 1996 der International Association for Philosophy and Literature. Darüber hinaus engagiert er sich politisch und war 2020 Teil der Bewegung Writers against Trump, die gegen die Wiederwahl des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten kämpfte.

Dieser Artikel wurde verfasst von Sandra Schmit und Nathalie Jacoby

Veröffentlichungen

Sonstige Mitarbeit

Übersetzungen

Mitarbeit bei Zeitungen

  • Titel der Zeitschriften
    Cahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des arts
    Verwendete Namen
    Pierre Joris
  • Titel der Zeitschriften
    Carleton literary review
    Verwendete Namen
    Pierre Joris
  • Titel der Zeitschriften
    Lëtzebuerger Almanach. Red.: Georges Hausemer ; Gestalt.: Heng Ketter
    Verwendete Namen
    Pierre Joris
  • Titel der Zeitschriften
    Livres-Bücher. Un supplément du Tageblatt
    Verwendete Namen
    Pierre Joris
  • Titel der Zeitschriften
    transkrit. Revue littéraire - Zeitschrift für Literatur
    Verwendete Namen
    Pierre Joris

Sekundärliteratur

Auszeichnungen

Mitgliedschaft

  • A:LL Schrëftsteller*innen
  • LSV - Lëtzebuerger Schrëftstellerverband [1986-2016]

Archiv

  • CNL L-342
Zitiernachweis:
Schmit, Sandra/Jacoby, Nathalie: Pierre Joris. Unter: , aktualisiert am 14.12.2023, zuletzt eingesehen am .