Samuel Hamen
Samuel Hamen besuchte von 1994 bis 2000 die Grundschule in Diekirch und von 2000 bis 2007 das dortige Lycée classique. Anschließend studierte er Germanistik und Geschichte an der Universität Heidelberg, wo er ein Promotionsprojekt über das Thema lyrische Autorschaft und ihre Inszenierung beim deutschen Lyriker Thomas Kling verfolgte. Er ist freier Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker.
Als Literatur- und Kulturwissenschaftler wirkte Samuel Hamen an der Ausstellung Korrekturspuren (2015) des Centre national de littérature und an der gleichnamigen Publikation mit einem Beitrag über Léopold Hoffmann mit. Im Rahmen der Ausstellungsreihe fluxus des Literaturmuseums der Moderne in Marbach war er Mitbetreuer einer Ausstellung über Christoph Ransmayr (2017). Auch trat er mit einer Studie über Batty Weber als Beiträger des Floréal im Sammelband Batty Weber. Werk und Wirkung (2017) hervor. In der Reihe Lëtzebuerger Bibliothéik des CNL gab er Ausgewählte Werke (2020 ) von Léopold Hoffmann als kommentierte Studienausgabe heraus. Der Fotoband 600 Kilo Quetschekraut an 80 Bouletten (2022) von Patrick Galbats und Daniel Wagener enthält ein Nachwort von Samuel Hamen. Er war überdies mit der Redaktion des von Melitta Schubert, der damaligen österreichischen Botschafterin in Luxemburg, initiierten Interviewbandes Österreich und Luxemburg im Dialog (2023) betraut und führte nahezu alle darin enthaltenen Interviews mit luxemburgischen und österreichischen Persönlichkeiten.
Als Literaturkritiker und -blogger ist Samuel Hamen seit 2014 freier Kulturredakteur und Literaturkolumnist für deutsche und luxemburgische Medien, in denen er zeitdiagnostische Essays und Feuilletonbeiträge auf Deutsch und auf Luxemburgisch publiziert. So veröffentlichte er von 2014 bis 2017 unter dem Titel Vun alle Säiten – Iwwer d’Literatur zu Lëtzebuerg Beiträge zur luxemburgischen Literatur im Lëtzebuerger Journal, und für kulturissimo schrieb er 2016-2017 die medienkritische Kolumne Mediebëtzeg. Er publiziert oder publizierte überdies in Die Warte (2015), forum (2016), Livres-Bücher (2016), d’Lëtzebuerger Land (seit 2017) und Tageblatt (2017) und liefert Beiträge für den Sender Radio 100,7 (seit 2016). Auch betreibt Samuel Hamen seit 2015 seinen eigenen Literaturblog Ltrtr.de, verfasst Artikel für die deutschen Online-Medien tell-review.de (2016-2017), akteur-magazin.de (2015-2016) und 54books.de (seit 2017). Seit 2017 ist er freier Mitarbeiter von Zeit Online, seit 2018 des Deutschlandfunks. In der Monatszeitschrift forum veröffentlicht er 2020-2021 eine Kolumne mit dem Titel Was fehlt:, die als Phänomenologie der Lücken, Leerstellen und des Abhandenkommens angelegt ist. Er moderierte Lesungen und Gespräche u.a. mit Marcel Beyer, Nora Gomringer, Guy Helminger und David Wagner.
Zwischen 2010 und 2013 war Samuel Hamen Mitglied der Literaturgruppe die gasse in Heidelberg und nahm an Lesungen und Performances teil, u. a. im von Frank Hoffmann zu dessen Heidelberger Studienzeit mitgegründeten Romanischen Keller. Von 2011 bis 2012 war er redaktionelles Mitglied von [Lautschrift], eines literarisch-künstlerischen Magazins für Studierende. Kleinere eigene Prosa- und Lyrikarbeiten veröffentlichte er, teilweise unter Pseudonym, in der Schweizer Zeitschrift für Literatur entwürfe (Zweitausendnauunddreißig, 2016), in der deutschen Literaturzeitschrift [SIC] (Busbahnhof HD, 2017) sowie ab 2017 in Les Cahiers luxembourgeois. Für Busbahnhof HD wurde er 2016 mit dem Hans-Bernhard-Schiff-Preis ausgezeichnet.
Hamens erste selbstständige literarirsche Veröffentlichung ist die luxemburgischsprachige Erzählung V wéi vreckt, w wéi Vitess (2018). In zehn Kapiteln, die in einwöchigen Intervallen von Mai bis Juli 2015 datiert sind, berichtet der Ich-Erzähler Devid Risch, ein angehender Autor, von seinen an diesen Tagen stattfindenden Psychotherapiesitzungen sowie von Handlungen, Beobachtungen und Gedanken vor und nach diesen Terminen. In den erzählerischen Hauptstrang montiert sind Mitteilungen, die der Ich-Erzähler in der Nacht zum letzten Therapietag auf die Voicemailbox des in Köln lebenden luxemburgischen Schriftstellers Guy Helminger spricht und in denen er das erzählerische Gerüst eines geplanten fiktionalen Werks darlegt. Verhandelt wird in der Erzählung, neben den Versuchen des Protagonisten, mit Hilfe, vor allem aber in Opposition zum Therapeuten sein zersplittertes Leben in den Griff zu bekommen, auch die Frage nach einem authentischen Zugang zur biografischen Vergangenheit. Dem Verhältnis von autobiografischem Erzählen und Fiktion geht Hamen auch in mehreren kritischen Texten nach, etwa in Die neue Ego-Literatur (tell-review.de). V wéi vreckt, w wéi Vitess entwirft überdies ein Bild der Stadt Luxemburg mit zeitgenössischen Literaturorten wie dem Café-Theater Rocas, erwähnt neben Guy Helminger auch den Autor Tullio Forgiarini.
2019 erschien der Band Zeeechen. Die drei darin versammelten Erzählungen handeln vom Heranwachsen des jeweils gleichen Ich-Erzählers in der Luxemburger Provinz um die Jahrtausendwende. Sie thematisieren Schlüsselmomente seiner fragmentarisch dargebotenen Lebensgeschichte – das Verhältnis zu den Eltern, zum besten Freund und zur ersten Liebe – und beschreiben, wie der Erzähler allmählich seiner Herkunftsfamilie entwächst, wobei zugleich über den Schreib- und Erzählprozess reflektiert wird. Die Erzählungen sind zwischen 2017 und 2019 einzeln in den Cahiers luxembourgeois erschienen und wurden für die Buchveröffentlichung überarbeitet und ergänzt sowie von Marc Angel illustriert.
In der Reihe Naturkunden des Verlags Matthes & Seitz veröffentlichte Samuel Hamen den Band Quallen (2022). Dieser nähert sich seinem titelgebenden Thema unter naturwissenschaftlicher, vor allem aber kulturhistorischer Perspektive. Literatur-, kunst-, film-, wissenschafts- und gendergeschichtliche Aspekte fügen sich zu einem Portrait, so der Untertitel, dieser oft mit Weiblichkeit assoziierten, auch als Medusen bezeichneten Tierarten und einer Darstellung der mit ihnen verbundenen kulturellen Symboliken.
Wie die Fliegen (2023), Samuel Hamens erster Roman, ist in einer dystopischen Zukunft verortet und denkt derzeitige technische, ökologische und gesellschaftliche Entwicklungen des Anthropozäns weiter. Das narrativ dichte Werk, in dem manches nur angedeutet wird oder rätselhaft bleibt, bedient sich auf der Handlungsebene der Genrekonventionen des Kriminalromans und der spekulativen Fiktion. In einer durch Umweltdesaster geprägten Welt gründet ein autoritärer Staat seine Herrschaft auf die Verwertung einer Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten, mysteriösen und potenziell gefährlichen Materie. Um im Fall eines verschwundenen Teenagers zu recherchieren, wird eine Ermittlerfigur in eine Stadt entsandt, in der sich das für diese Materie zuständige Institut befindet und in der befremdliche Phänomene, Anomalien und Verhaltensweisen sich zunächst einer sinnvollen Lektüre entziehen. Im Verlauf der Ermittlungen eröffnen sich ihr Einblicke in die Funktionsweise des z.T. die Bewusstseinsinhalte manipulierenden, nur schwer durchschaubaren Systems, aber auch in ein diffus-widerständiges Jugendmilieu, das sich um eine Sängerin und den Konsum einer verbreiteten Droge gebildet hat. Es handelt sich bei Wie die Fliegen um eine deutschsprachige Überarbeitung des unveröffentlichten luxemburgischsprachigen Manuskripts I. L. E., für das Hamen beim Concours littéraire national 2019 der erste Preis verliehen wurde.
Unter dem Titel Verhaltensweisen veröffentlichte Samuel Hamen im selben Jahr einen poetologischen Essay. Er beschreibt darin Erfahrungen, die er 2018 anlässlich eines Forschungsaufenthalts auf der Insel Hombroich, einem Kunstareal in der Nähe von Neuss in Nordrhein-Westfalen, machte und die zu einer Klärung seines dichterischen Selbstverständnisses und seiner Literaturauffassung führten. Darin spielt der Gedanke der Distanznahme von einer als erdrückend konzeptualisierten Nähe zur Wirklichkeit und zu den Dingen sowie, im Kontrast dazu, jener des Perspektivwechsels und der Befreiung der Wahrnehmung durch die Kunst, hier Film und Literatur, eine wichtige Rolle.
Samuel Hamen tritt auch als Dramatiker hervor. Im Juli 2019 wurde im Rahmen des Projekts „Kaz am Sak“ des Künstlerkollektivs MASKéNADA Samuel Hamens Stück ëm- auf dem Gelände der ehemaligen Lederfabrik in Wiltz aufgeführt. Es handelt von russischen Emigranten, die 1917 vor den revolutionären Wirren geflohen und über Umwege nach Wiltz gelangt waren, wo sie in den Ideal Lederwerken Arbeit fanden. Das Stück fokussiert auf die Frauen der Familie eines ehemaligen zaristischen Offiziers. Zum zweihundertjährigen Geburtsjubiläum von Edmond de la Fontaine wurde Hamen 2023 zusammen mit dem Regisseur Jacques Schiltz mit einer Aktualisierung von Dicks Operette D’Mumm Séis oder De Geescht beauftragt. Unter dem invertierten Titel De Geescht oder D’Mumm Séiss (2023) entstand eine zeitgenössische Adaptation, die den (teilweise modifizierten) Originaltext mit einem neuen Handlungsstrang verschmilzt und dabei auch inhaltlich Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet.
Samuel Hamen erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Beim Concours littéraire national 2018 erhielt er den dritten Preis für das Theaterstück Tagebuch des Fremdalterns, und beim Concours littéraire national 2019 den ersten Preis für den dystopischen Kriminalroman I. L. E. 2020 war er Stipendiat der mit einer Autorenresidenz am Literarischen Colloquium Berlin (LCB) verbundenen Bourse Bicherfrënn. In demselben Jahr wurde er mit dem Lëtzebuerger Buchpräis für Zeeechen ausgezeichnet. Während der Spielzeiten 2022/23 und 2023/24 war er Hausautor des Théâtre national du Luxembourg (TNL). Zusammen mit der Regisseurin Anne Simon brachte er in diesem Rahmen 2023 das Programm Falsche Sonne/False Sun mit Texten der britischen Schriftstellerin Anna Kavan auf die Bühne. Als Auftragsarbeit für das TNL entstand 2024 auch Ech sinn um Enn vun deem, wat ass, ein Monolog, so der Untertitel, über D’Virstellungskraaft an Zäite vun de Krisen. Für die Jahre 2024 bis 2027 wurde ihm die Künstlerresidenz „Artiste-Associé“ der Kulturfabrik Esch zuerkannt. Wie die Fliegen wurde mit dem Prix Servais 2024 ausgezeichnet.
Samuel Hamen gehörte 2020 zu den Gründungsmitgliedern des Schriftstellerverbandes A:LL Schrëftsteller*innen, dem er von seiner Gründung bis 2023 vorstand.
Veröffentlichungen
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Jahr2018
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Jahr2019
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Jahr2021
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Titel Quallen. Ein PortraitJahr2022
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Jahr2023
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Jahr2023
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Titel Wie die FliegenJahr2023
Sonstige Mitarbeit
Mitarbeit bei Zeitungen
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Titel der Zeitschriften[SIC]. Zeitschrift für LiteraturVerwendete NamenSamuel Hamen
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Titel der ZeitschriftenCahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des artsVerwendete NamenSamuel Hamen
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Titel der ZeitschriftenEntwürfe. Zeitschrift für LiteraturVerwendete NamenLinus Molitor
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Titel der Zeitschriftenforum. fir kritesch Informatioun iwer Politik, Kultur a ReliounVerwendete NamenSamuel Hamen
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Titel der Zeitschriftenkulturissimo. mensuel culturel et socio-politiqueVerwendete NamenSamuel Hamen
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Titel der ZeitschriftenLëtzebuerger Journal / Letzeburger Journal / Journal / LJ. Politik, Finanzen a GesellschaftVerwendete NamenSamuel Hamen
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Titel der ZeitschriftenLëtzebuerger Land (d') / d'Letzeburger Land / LL. unabhängige Wochenschrift für Politik, Wirtschaft und KulturVerwendete NamenFern Schaus
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Titel der ZeitschriftenLivres-Bücher. Un supplément du TageblattVerwendete NamenS.H.
Samuel Hamen -
Titel der ZeitschriftenTageblatt / Escher Tageblatt = Journal d'Esch. Zeitung fir LëtzebuergVerwendete NamenSamuel Hamen
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Titel der ZeitschriftenWarte (Die) = Perspectives. Supplément culturel du WortVerwendete NamenSamuel Hamen
Sekundärliteratur
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Autor(in) Josée Hansen
Jahr2016 -
Autor(in) Jeff Schinker
Jahr2017 -
Autor(in) Elise Schmit
Jahr2018
Auszeichnungen
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Jahr 2016
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Jahr 2018
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Jahr 2019
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Jahr 2020
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Jahr 2020
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Jahr 2022
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Name Prix ServaisJahr 2024
Mitgliedschaft
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A:LL Schrëftsteller*innen
Weblinks
Fotogalerie
Zitiernachweis:
Marson, Pierre: Samuel Hamen. Unter: , aktualisiert am 21.10.2024, zuletzt eingesehen am . -