Elise Schmit
Elise Schmit besuchte von 1988 bis 1994 die Grundschule in Munsbach, dann, von 1994 bis 2001, das Lycée de garçons in Luxemburg. Von 2001 bis 2007 studierte sie Germanistik und Philosophie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, ein Studium, das sie mit einem Magistertitel abschloss. Während ihres Studiums beschäftigte sie sich mit vergleichender Literaturwissenschaft, griechischer Philologie, Kunstgeschichte und der Philosophie Martin Heideggers. Ihre Masterarbeit widmete sie Schillers Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Nach Aufenthalten in Tübingen und Paris kehrte sie 2012 nach Luxemburg zurück, wo sie Deutsch am Lycée de garçons sowie am Lycée technique du Centre in Luxemburg unterrichtete. 2021 wechselte sie zum SCRIPT des Unterrichtsministeriums, wo sie für das Projekt Lëtzebuergesch am Lycée in der Reihe Allerhand Neuauflagen von luxemburgischsprachigen Romanen betreut und Unterrichtsmaterial entwickelt. In dieser Reihe erschienen bisher Texte von Cathy Clement, Jhemp Hoscheit, Jean-Paul Jacobs, Claudine Muno und Tania Naskandy. Von 2016 bis 2023 war sie zudem, zusammen mit Ian De Toffoli und Marc Limpach, Herausgeberin der Kulturzeitschrift Les Cahiers luxembourgeois.
Elise Schmit ist Philologin und Literaturkritikerin. Seit 2006 veröffentlicht sie Rezensionen und Studien zu luxemburgischer und deutscher zeitgenössischer Literatur im Luxemburger Wort (2006-2012), d’Lëtzebuerger Land (seit 2007), Tageblatt, forum und in der Zeitschrift opus. Im Kontext der luxemburgischen Literatur gilt dabei ihr besonderes Interesse dem Werk Jean-Paul Jacobs. So veröffentlichte sie im Ausstellungskatalog Korrekturspuren / Traces de correction (2015) eine textgenetische Analyse seines Gedichtbandes in der sänfte des apollofalters und im Sammelband Modernismen in Luxemburg (2019) eine Studie der Kriminalerzählung Die Toten schießen schneller. Darüber hinaus hat sie sich im Kontext einer Neuausgabe von Michel Rodanges Renert mit dem Frauenbild dieses Textes von 1872 beschäftigt.
Das eigene literarische Selbstverständnis reflektiert Elise Schmit in ihrer Rede zur Literatur, Schreiben als Machen, und wie. (2020). Dabei geht sie zunächst von der Handwerklichkeit literarischer Produktion und dem Aspekt der (An)ordnung des Materials aus, um diese um die Fragen nach der Stoffwahl, der Erzählperspektive, der Ethik, der Autorinnenintention und ihres nötigen Weltwissens zu erweitern. Inhaltlich und formal orientiert sich Schmits performativ vorgehende Poetologie vornehmlich am antiken Mythos dreier sprichwörtlich den Lebensfaden spinnenden Schicksalsgöttinnen – den Moiren (bei den Griechen), respektive den Parzen (bei den Römern) –, deren jeweiligen Attribute den drei Schreibphasen der Stofffindung, der Stoffentwicklung und des Abschlusses zugeschrieben werden. Wie ein roter Faden zieht sich hierbei das Motiv des Webens durch die Abhandlung, das mit den einzelnen Aspekten nicht nur wortwörtlich und metaphorisch, sondern passend zu seiner den Frauen vorbehaltenen literarhistorischen Entwicklung auch geschlechtsspezifisch miteinander verbunden wird.
Elise Schmit machte zunächst mit Prosatexten auf sich aufmerksam. Sie veröffentlichte in Zeitschriften wie dem Berliner Tagesspiegel und der Tübinger Literaturzeitschrift trashpool sowie in Anthologien wie Hasta la vista, Johnny! (Walfer Bicherdeeg 2011), Fabula rasa (2013), Fragment 3793 (2013), Erënnerungsraim (Walfer Bicherdeeg 2013), Migrant (2015), einer Sammlung, die das Kasemattentheater unter dem Titel Furcht und Wohlstand des Luxemburger Landes 2015 auf die Bühne brachte, Perdus de vue (2016), Le goût du Luxembourg (2018) oder auch Premières amours (2021). Gedichte von Elise Schmit erschienen in den Anthologien Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn (2021) und Lignes de partage (2021).
2018 erschien Stürze aus unterschiedlichen Fallhöhen, eine überarbeitete Version des Erzählbandes, für den Elise Schmit 2017 den dritten Preis beim Concours littéraire national gewann. Der Band enthält unter anderem eine neue Fassung der Erzählung Im Zug, für die die Autorin bereits 2012 mit dem ersten Preis beim Concours littéraire national ausgezeichnet worden war. Schmit befasst sich in diesem Band mit biografischen Umbruchsituationen von Figuren, die zu kontinuierlichen Selbstverhandlungen verdammt sind. Ob eine Witwe, die einsam am Rande einer Klippe lebt, ein geschiedener Zeitungsausträger oder eine junge Frau, die kurz der Isolation eines nur scheinbar aufgeklärten Tourismus entkommt: Schmits Figuren oszillieren zwischen Gleichgültigkeit und der intensiven Wahrnehmung der Einzelheiten ihrer Existenz. Überwältigt von Erinnerungen, aus dem Gleichgewicht gebracht von merkwürdigen Anziehungskräften und erstarrt in ihren Ängsten, sezieren sie große Leere und kleine Risse mit einer Hellsichtigkeit, deren Ironie die Intensität der Erfahrung kaum zu mindern vermag. Oft von sich selbst und der Banalität ihrer Existenz enttäuscht, bemühen sie sich darum, sich selbst und andere zu erfassen oder mehr oder minder große Hindernisse zu überwinden, die sie von jeglicher Selbstverwirklichung trennen.
Auch die erste englischsprachige Kurzgeschichte von Elise Schmit, Blue Like a Tangerine (2021), beschäftigt sich mit einer Figur, die, in einer von Entbehrungen und Isolation geprägten Gesellschaft auf sich selbst zurückgeworfen, eine behutsame Beziehung zu einem blauen Vogel aufzubauen versucht, der einer Mandarine entschlüpft. Dabei werden vielfältige metaphorische Bezüge geschaffen, die dem scheinbar Fantastischen eine emotionale, gesellschaftliche und poetologische Realität verleihen, deren Fluchtpunkt auf das Schreiben selbst verweist. Das Buch wurde von der Künstlerin Antic-Ham illustriert. Ebenfalls 2021 erschien die Publikation Sehnsucht, die in Zusammenarbeit mit dem Künstler Robert Brandy entstand.
Elise Schmit schreibt auch fürs Theater. Selbsterfahrung in der spezifischen Ausprägung einer identitären Wechselwirkung von Raum und Mensch bestimmt das Theaterstück En Haus wéi en Haus, das seit 2018 für das Künstlerkollektiv MASKéNADA schrieb, und das 2018 und 2019 in verschiedenen leerstehenden Häusern in Wiltz, Luxemburg und Ettelbrück aufgeführt wurde. In der Auseinandersetzung mit dem materiellen Erbe entsteht ein Spiel um subjektive Erinnerung und die emotionale Bindung an ein (Zu)Haus(e). Um die Subjektivität der Erinnerung geht es auch in dem Stück So dunkel hier, das 2021 in der Abtei Neimënster uraufgeführt wurde, wobei Erinnerung hier in ihrer kollektiven Verwirklichung als Geschichtsschreibung begriffen wird. Das Stück nimmt den ungeklärten Tod des Gauleiters Gustav Simon und die verschiedenen Narrative, die um diesen Tod in Luxemburg entstanden, als Ausgangspunkt, um mit unterschiedlichen Handlungsvarianten in einem aleatorisch strukturierten Text jene Momente zu besetzen, die die Historiografie nur als Leerstellen wahrnehmen kann. Inhaltlich und formal werden so narrative Angebote gemacht, die je nach Inszenierung anders realisiert werden können. Das Kurzdrama Fisch im Limbus entstand im Rahmen des Projekts Die Neuen Todsünden, bei dem sieben europäische Autorinnen, darunter auch Larisa Faber, für eine luxemburgisch-deutsch-schwedische Koproduktion beauftragt wurden, gesellschaftliche Missstände zu reflektieren. Der Text, der 2020 am Badischen Staatstheater Karlsruhe uraufgeführt wurde, entwirft eine Situation, in der pointierte Fragen nach dem moralischen Hintergrund von Konsumverhalten und Essgewohnheiten im Zeitalter eines zunehmenden Artensterbens gestellt werden. En Haus wéi en Haus wurde 2021 im Sammelband Kaz am Sak, So dunkel hier 2023 im Sammelband Theater, théâtre, theatre, Theater 1 veröffentlicht.
Während der Spielzeit 2020/21 war Elise Schmit Hausautorin am Théâtre national du Luxembourg. In diesem Kontext entstand u.a. ein Text zum Thema Sehnsucht, den sie für den Choreografen Jean-Guillaume Weis schrieb. Das zweisprachige Stück Under the Sun / Ënnert der Sonn, das in seiner initialen Form auf eine Zusammenarbeit mit einem britischen Schauspieler zurückgeht, geht von der Isolation des Einzelnen in einer Gesellschaft aus, in der aufgrund klimatischer Veränderungen Einschränkungen verhängt werden, die denjenigen der Covid-Pandemie ähneln. Ein Mann und eine Frau, er in Großbritannien, sie in Luxemburg, lernen sich über eine Dating App kennen. Im dialogischen und monologischen Wechselspiel wird die Frage nach der Möglichkeit der Überwindung sprachlicher, geschlechtsspezifischer und v.a. individueller Grenzen gestellt. Das Stück wurde in einer Werkstattfassung bei den ersten Mierscher Theaterdeeg vorgestellt und 2021 am TNL uraufgeführt.
Für die Weihnachtssaison 2021 verarbeitete Elise Schmit das Grimmsche Märchen Brüderchen und Schwesterchen für das Kinderstück All d’Déieren aus dem Bësch, das eine Reflexion um den zeitgemäßen Umgang mit gender- und rollenspezifischen Stereotypen des Märchens anstrebt.
Eine slowenische Übersetzung der Erzählung Im Zug erschien 2014 in der Anthologie Hällewull. Die Kurzgeschichtensammlung Stürze aus unterschiedlichen Fallhöhen erschien 2022 in einer griechischen, das Stück En Haus wéi en Haus 2024 in einer rumänischen Übersetzung. Elise Schmit selbst übersetzte Ian De Toffolis luxemburgisches Theaterstück Dräi Schwësteren, das auf Tschechows Schauspiel beruht, ins Deutsche, und Simon Longmans Stück Gundog unter dem Titel Vreckvéi ins Luxemburgische.
Elise Schmit wurde mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Nach dem Prix spécial des Prix Jeune Littérature (ALUC) 1995, wurde sie beim Concours littéraire national 2010 für den unveröffentlichten Roman Brachland und 2012 für die Erzählung Im Zug mit dem ersten, sowie 2017 für Stürze aus unterschiedlichen Fallhöhen und 2022 für die Kurzgeschichtensammlung Perfect Spheres – Stories and Complaints mit dem dritten Preis ausgezeichnet. 2019 erhielt Stürze aus unterschiedlichen Fallhöhen den Prix Servais. Im Sommer 2019 war sie Stipendiatin am Literarischen Colloquium Berlin (LCB).
Seit 2020 ist Elise Schmit Mitglied der Jury der Schweizer Kulturpreise.
Veröffentlichungen
-
Jahr2018
-
Jahr2019
-
Jahr2020
-
Titel Blue Like a TangerineJahr2021
-
Jahr2021
-
Titel SehnsuchtJahr2021
-
Titel So dunkel hier. Spekulation in fünf Anläufen. In: Theater, théâtre, theatre, Theater 1, S. 163-262.Jahr2023
Übersetzungen
-
Sprache RUM
-
Sprache GRC
Mitarbeit bei Zeitungen
-
Titel der ZeitschriftenCahiers luxembourgeois (Les). revue libre des lettres, des sciences et des artsVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der ZeitschriftenLesezeit - Lectures pour tous. Supplément commun de Luxemburger Wort et d'VoixVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der ZeitschriftenLëtzebuerger Land (d') / d'Letzeburger Land / LL. unabhängige Wochenschrift für Politik, Wirtschaft und KulturVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der ZeitschriftenLivres-Bücher. Un supplément du TageblattVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der ZeitschriftenLuxemburger Wort / d'Wort / LWVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der Zeitschriftennos cahiers. Lëtzebuerger Zäitschrëft fir KulturVerwendete NamenElisabeth Schmit
-
Titel der ZeitschriftenOpus. KulturmagazinVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der ZeitschriftenTageblatt / Escher Tageblatt = Journal d'Esch. Zeitung fir LëtzebuergVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der ZeitschriftenTagesspiegelVerwendete NamenElise Schmit
-
Titel der ZeitschriftentrashpoolVerwendete NamenElise Schmit
Sekundärliteratur
-
Autor(in) Ian De Toffoli
Jahr2010 -
Autor(in) Ian De Toffoli
Jahr2010 -
Autor(in) Josée Zeimes
Jahr2015
Auszeichnungen
-
Jahr 1995
-
Jahr 2010
-
Jahr 2012
-
Jahr 2017
-
Jahr 2019
-
Name Prix ServaisJahr 2019
-
Jahr 2020
-
Jahr 2022
Mitgliedschaft
-
A:LL Schrëftsteller*innen
Weblinks
Fotogalerie
Zitiernachweis:
Jacoby, Nathalie: Elise Schmit. Unter: , aktualisiert am 12.12.2024, zuletzt eingesehen am . -